Lebensfreude und Orientalischer Tanz

Meiner Beobachtung nach kommen (vielleicht auch kamen, im Moment gibt es so eine Umstrukturierung auf jung, schlank, sexy) viele Frauen zum Orientalischen Tanz nach einer bestimmten Krisensituation in ihrem Leben (Krankheit, Scheidung, berufliche und häusliche Probleme). Sie sind verunsichert, manche erschöpft, haben jede Menge Fragen an das Leben und ihr eigenes Frausein und sind auf der Suche. Sich zum Orientalischen Tanz aufzuraffen ist der erste Schritt in ein neues Leben. Die Hoffnung fokussiert sich auf Weiblichkeit, Selbstbewusstsein, auf Gemeinschaft, auf (Selbst-)Akzeptanz, auf Aussichherausgehen und Insichhineinkommen.

Die Anmeldung zum Kurs ist wie ein Sprung ins kalte Wasser; denn jetzt kommt die Stunde der Wahrheit. Auch wenn sich die Frau noch so sehr in die letzte Reihe drückt, sie muss sich zeigen, so wie sie ist und sie wird HOFFENTLICH Frauen finden, die so sind wie sie selbst – zu klein, zu groß, zu dick, zu dünn – Frauen, die ganz „normal“ aussehen. (Glaubt irgendjemand, dass ein Außenstehender in der Jugendherberge Bonn erraten könnte, was wir Alltagsfrauen hinter verschlossenen Türen tun? „Bauchtanzen – nee, so was, das hätte ich jetzt nicht gedacht…“)

Schritt 1 zu Lebensfreude ist Selbstakzeptanz – trotz allem. Ohne dass frau ihren Körper liebt (und hier sind uns die Orientalinnen weit voraus), der da und dort Kummer oder Schmerz bereitet, der da und dort nicht so will wie frau selbst, kann er nicht zum Instrument des Tanzes werden. Er kann trainiert und geknechtet werden, aber zum Tanzen, zum Tanz der Seele kommt er erst, wenn die Seele hinterher gewachsen ist.

„Sei gut zu deinem Körper, damit deine Seele Lust hat, darin zu wohnen.“
Theresa von Avila

Dieser Schritt, den Körper, den wir sind, in dem wir leben, zu lieben, kann in einen jahrelangen Weg münden. Es ist für viele ein steiniger und schmerzvoller Weg, aber er wird früher oder später in eine Befreiung münden – und damit in Lebensfreude.

Bei Anfängerinnen bemerkt man die Auseinandersetzung mit dem eigenen Erscheinungsbild immer am Haare wachsen lassen und am Sich Schmücken (besonders deutlich bei stark verkopften und älteren Frauen). Jede Stunde ein neues Klimbim. Auch das ist Lebensfreude. Erinnern wir uns an unsere Anfänge: ein Messegang war ein Shopping-Vollrausch in Stoffen, Pailletten und Geklimper. Hüfttücher mussten her; denn das wöchentliche Binden des Hüfttuchs war das Ritual der Tanzstunde und die Sprosse auf der wöchentlichen Leiter zu Lebensfreude.

Erstes Hüfttuch, erstes Kostüm, erster Auftritt – all das sind Stufen in ein neues weibliches Leben des „Seht her, ich bin eine Frau!“ und „Seht her, das trau ich mich!“ und „Seht her, ich tanze und es macht Spaß, mir und Euch!“

Wendy Buenaventura hat vor 25 Jahren auf einem Workshop in Freiburg gesagt: „You dance for your own pleasure, but you also dance for other people’s pleasure.“ Es sollte eine Aufmunterung sein, aber für mich war es wie eine Lähmung – plötzlich hing Mutters Damoklesschwert von „immer schön bescheiden“ und „Eigenlob stinkt“ und „Spiel Dich nicht so auf“ direkt über mir. Viele Frauen müssen durch diesen Wust aus institutionellen Botschaften hindurch, müssen den Kokon aus Mittelmäßigkeit, Grenzen, Zurückhaltung und Anstandsregeln sprengen, um in neue Dimensionen des Freiseins vorzustoßen. Freisein ist Glück, ist Lebensfreude.

Auch körperliche Fitness ist Lebensfreude. Wöchentlich in der Gymnastik Muskeln kennen lernen, spüren, aufbauen, merken, wie der Rücken sich aufrichtet, groß werden, Raum einnehmen, irgendwann leichtfüßig Treppen rauf- und runtergehen, Tänze nicht nach Luft japsend beenden – auch all das ist Lebensfreude; denn es bedeutet Kraft und Vitalität, eine Haltung, die auf das gesamte Leben übertragen werden kann.

Auch Beckenbodenkraft ist Lebensfreude. Ich kenne einige Frauen; die ihre Inkontinenz allein durch intensives Bauchtanzen überwunden haben. Was das für ein Lebensglück ist, können nur Betroffene ermessen. Ein starker Beckenboden bedeutet Freiheit, Schimmies ohne Ende und ohne Reue, aufrechte Haltung, wacher Geist und Frauenwürde.

Auch das Aufgehobensein in einer Gemeinschaft ist Glück. Hier seid Ihr als Dozentinnen gefordert, diese Frauengemeinschaft zu fördern und bewusst zu gestalten. Wer sich den Luxus eines eigenen Studios leisten kann, schafft mit der Teeecke einen Raum zum Verweilen und zum Austausch. Den Rückhalt unter Frauen, das Lernen vom Lebenshandling der anderen,

das Vernetzen, das gemeinsame Lachen-all das brauchen wir in der jetzigen Zeit des Umbruchs ganz besonders.

Ja, Lachen ist Lebensfreude. Tanz ist schweißtreibend und ein hartes Training, erfordert Disziplin und Geduld, wenn frauErfolghaben will. Aber der Orientalische Tanz sollte nicht ohne Lachen auskommen. Wie bei jedem Tanz werden im Bauchtanz Endorphine ausgeschüttet, die Glückshormone, die Körper, Geist und Herz überschwemmen. Als Tanzende kann ich aus dem Kurs abgekämpft, schwitzend und stöhnend heraus kommen, aber in der Garderobe sollte Stimmengewirr und Gelächter zu hören sein. Wir sollten uns spüren, kräftig sein, laut sein dürfen. Zu mir kam einmal eine Schülerin und sagte: „Ich tanze jetzt seit 2 Jahren bei XYZ und ich kenne keinen einzigen Namen der Kursteilnehmerinnen. Es ist alles so straff organisiert und in der Garderobe darf man nicht reden, weil es die nächste Gruppe stört. Ich möchte in einer Gruppe von Frauen tanzen, mit denen ich verbunden bin.“ Sorgt dafür, Ihr Dozentinnen, diesen Frauenraum zu schaffen, in dem Wohlwollen und Freude Platz haben.

Nach einer gewissen Zeit des Tanzens erwacht noch eine andere Lebensfreude: der Appetit auf orientalische Länder. Diese sich einstellende Reiselust mag für manche nur in einen Shoppingtrip an den Ort des Geschehens münden, aber für die meisten ist es doch das wahre Sesamöffnedich in fremde Kulturen, Bräuche und ungeahnte Sinneseindrücke, eine Erweiterung des Horizonts und die Basis des Tanzens.

Während ich all das schreibe, wirkt noch der Kongress in mir nach und ich kann sagen, dass sich dort all meine Thesen zum Thema Lebensfreude und Bauchtanz realisiert haben. Ein Vorstand mit Humor, der leibt und lebt und gibt, und Mitglieder, die auf der Vollversammlung nicht gähnend Punkte abgearbeitet haben, sondern sich interessiert und wohlwollend eingebracht, Wissen und Erfahrungen ausgetauscht haben; Frauen, die Party gemacht und getanzt haben wie die Teufel und showgetanzt haben wie Göttinnen, jede Frau ein Unikat und eine Botschaft. Abeer, die ägyptische, echt sexy Obermama war das Bindeglied zwischen Tänzerinnen und Publikum. Noch nie habe ich eine so wertschätzende Moderation erlebt, die das Publikum zu wertschätzenden Zuschauerinnen machte. Ich fühlte mich in die Anfange des Orientalischen Tanzes in Deutschland zurückversetzt, als wir noch The Big Sisterhood waren, was sich mit dem Aufkommen der ersten berufsmäßigen Tänzerinnen davon geschlichen hat.
Also, ich sag’s Euch: der BVOT Kongress- auch das kann Lebensfreude pur sein!

Gaby Mardshana Oeftering

(Text erschienen in Chorikà)

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